Ein Sommer mit Folgen

Solange ich denken kann, liebe ich gutes Essen. Die Beschäftigung mit Lebensmitteln, gesunder Ernährung und allem, was damit zusammenhängt ist von jeher selbstverständlicher Bestandteil meines Lebens gewesen. Und dennoch bekam diesen Sommer alles plötzlich eine ganz andere Qualität.

Alles begann damit, dass mich die Aussage meines Osteopathen aufhorchen ließ. Meine unerklärlichen Beschwerden könnten eventuell einen Zusammenhang mit meiner Ernährung haben, meinte er. In einer ersten, spontanen Abwehrreaktion führte ich an, dass ich mich durchaus ausgewogen und gesund ernährte, ja sogar ordentlich Wert auf all das legte. Und dennoch: er blieb dabei, verschrieb mir bittere Tropfen für meine Leber und gab mir neben Denkanstößen auch noch ein paar Lesetipps im Internet mit nach Hause.

Da saß ich nun, recherchierte und fand einiges darüber heraus, was uns gut tut und was uns gemeinhin eher schadet. Nach fast zwei Dekaden gesunder Küche für meine Kinder und der unermüdlichen Beschäftigung mit Nährwerten, Vitaminen, Vollwert, mitunter auch Diäten und alles, was sonst noch dazugehört, fand ich erstaunlicherweise jede Menge Neues.

Darüber dass der Konsum von Fleisch, Milch und Milchprodukten, überhaupt die tierischen Fette und Eiweiße nicht rasend zur Gesundheit beitragen, hatte ich schon einiges gelesen. Nun lernte ich dazu, dass die Gesündesten unter uns scheinbar nicht allein Vegetarier oder Veganer sind, sondern vor allem die, die ausschließlich Rohes, also nicht Erhitztes, zu sich nehmen. Eine Ernährung, die mir vor nicht allzu langer Zeit als völlig ungeeignet für den Menschen schien. Nicht zuletzt deshalb, weil ich leidenschaftlich gerne koche und es liebe, die unterschiedlichsten Aromen zu schmecken. Das alles sollte also nicht gut für mich sein?

Ich las von Menschen, die allein durch Rohkost-Ernährung innerhalb weniger Wochen ihren Krebs besiegten. Meine Skepsis meldete sich selbstbewusst zu Wort, aber ich suchte weiter. Es scheint, dass diese Ernährung eine so enorme Kraft hat, dass sie nicht nur heilt, sondern auch das Potenzial zur Verjüngung hat.
Ein Wunder eigentlich, dass sich die ganze Anti-Aging-Welle noch nicht mit voller Kraft darauf gestürzt hat.

Zur gleichen Zeit hatte ich durch einen Kundenauftrag mit einer Recherche über „Grüne Smoothies“ zu tun.  Smoothies kannte  ich vor allem als pürierte Fruchtdrinks, die ich hauptsächlich im Kühlregal der Supermärkte wahrgenommen hatte. Dass man auch Gemüse – und hier vor allem Blattgemüse – in die Fruchtpürees mischen könnte, wäre mir spontan nicht in den Sinn gekommen.
Die gesundheitsförderliche Wirkung von grünem Blattgemüse, vor allem in pürierter Form faszinierte mich derart, dass ich weiter suchte. Ich entdeckte die Superfoods, Nahrungsmittel mit einer Unmenge an wichtigen Inhaltsstoffen, und kam über die vegetarische und vegane Ernährung schließlich zur Rohkost.

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Ich landete bei den Protagonisten der Rohkostszene und las die Bücher von Markus Rothkranz, Mimi Kirk und Judita Wignall. Obwohl mir manches sehr radikal erschien und Markus Rothkranz in manchem Video einen für Europäer schier unerträglich amerikanischen Stil präsentiert, waren die Inhalte schlüssig, logisch, verständlich und im Grunde unglaublich.
Dass man mit Ernährung die körperliche Gesundheit wesentlich beeinflussen kann, war mir auch vorher klar gewesen. Aber diese schier unfassbare Bandbreite und die tatsächlich beinahe revolutionäre Wirkweise von bestimmten Nahrungsmitteln war mir bisher nicht erschlossen gewesen.

Ich glaube nicht an Zufälle. Und so kann es auch keiner gewesen sein, dass mir zur gleichen Zeit die Bücher „Tiere essen“ von Jonathan Safran Foer und die „China Study“ von Colin Campbell in die Hände fiel. Aus dem Bücherschrank meiner Tochter lieh ich mir „Peace Food“ von Rüdiger Dahlke. Und in meinem Email-Postfach lag der Link zu einem unsagbar grausamen Video über die Behandlung von Tieren in allen möglichen Zucht- und Schlachtanstalten, das alles bisher gesehene dramatisch in den Schatten stellte.

Ethisch moralisch war für mich somit endgültig einiges klar, der gesundheitliche Aspekt kam ergänzend hinzu und so formulierte ich neue Lebensprinzipien:
– Ich werde kein Fleisch mehr aus Massentierhaltung kaufen oder essen, auch keinen Fisch.
– Ich werde nach Möglichkeit nur noch Bioware oder Produkte aus nachhaltigem Landbau kaufen und essen
– Ich werde generell auf tierische Produkte verzichten.
– Ich werde so viel wie möglich natürlich essen, also roh und mit vollem Gehalt an Vitaminen, Mineralstoffen und allen Nährstoffen, die die Natur bietet.

Ich nahm alles sehr ernst und begann mit dem extremsten: rohköstlicher Ernährung, kaufte Superfoods und krempelte unter dem Protest meiner Kinder unseren Kühlschrank um. Die Märkte des Sommers machten es mir leicht an herrliches Obst und Gemüse zu kommen und ich strapazierte die Leistungsfähigkeit meines alten Mixers.
Das erste Fazit nach etwa einer Woche: ich fühlte mich herrlich leicht, schlief besser und wachte ausgeruht und frisch auf. Durch die heißen Sommertage fiel es mir relativ leicht nur Obst und Gemüse zu mir zu nehmen und auf gekochtes Essen zu verzichten. Ich trank keinen Kaffee mehr, stieg auf grünen oder weißen Tee um. Was ich mir als Kraftakt für mich alte Kaffeetante vorstellte, war verhältnismäßig leicht. Ich realisierte, dass sich das meiste im Kopf abspielt, was ich an Sehnsüchten entwickelte. Am allerschwersten allerdings fiel es mir, auf Käse zu verzichten.

Die ersten Hürden kamen bei Einladungen ins Restaurant. Es ist verdammt schwer, selbst auf der Speisekarte der besten Restaurants vegetarische Gerichte zu finden. Vegane Speisen sind fast unmöglich zu bekommen und rohköstliches noch viel schwerer. Der größte gemeinsame Nenner ist in Form von Salat zu finden. Und selbst hier kämpft man häufig mit Windmühlen, sind doch gekochte Eier, Schinken- oder Käsestreifen, Geflügelfleisch, Schafskäse, Mozzarella, Thunfisch und derlei mehr auf fast allen Salaten zu finden. Beim Bestellen kam ich mir vor wie ein mäkelndes Kind: diesen Salat bitte, aber bitte ohne dieses und jenes und keinesfalls das.

Wie erholsam und abwechslungsreich sich im Gegenzug dazu meine heimische Küche erweist. Wunderbar! Herrlich! Phänomenal! Die Anfangseuphorie hielt meinen Endorphinspiegel ziemlich hoch.

Und dann?
Dann kam der Urlaub.
Dann wurde es richtig schwierig.
Doch dazu später mehr.

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